Enge Kooperation von Praxen, Rettungsdienst und Kliniken unabdingbar für Erfolg der Notfallversorgungsreform // Strukturierte Ersteinschätzung kann Notaufnahmen von weniger dringlichen Behandlungsfällen entlasten
Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung von Union und SPD hat sich neben der Stabilisierung der Beitragssätze insbesondere auch die Reform der Akut- und Notfallversorgung auf die Fahnen geschrieben. Der Bundestag hatte im Oktober 2024 bereits in 1. Lesung über das noch vom alten Bundeskabinett im Sommer 2024 beschlossene Gesetz zur Reform der Notfallversorgung beraten. Dieses zielt insbesondere auf eine bessere Patientensteuerung ab, um die Notaufnahmen der Krankenhäuser wirkungsvoll zu entlasten. Vorgesehen ist unter anderem, dass an ausgewählten Krankenhausstandorten Integrierte Notfallzentren (INZ) eingerichtet werden. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass eine Bereitschaftspraxis in unmittelbarer Nähe zur Notaufnahme besteht und sich Hilfesuchende an einem Tresen als zentrale Anlaufstelle vorstellen. Durch sichere Ersteinschätzungsverfahren soll geprüft werden, welche Dringlichkeit und welcher Behandlungsbedarf im Einzelfall bestehen. Hilfesuchende, die keine unmittelbare Behandlung in der Notaufnahme benötigen, sollen in die Bereitschaftspraxis am Standort oder zu Praxisöffnungszeiten in eine nahegelegene Kooperationspraxis geleitet werden.
Vor diesem gesundheitspolitischen Hintergrund hat das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) gestern seine dritte „Urgent Care Conference“ (13./14. Mai 2025) in Berlin gestartet. Im Mittelpunkt stehen dabei multidisziplinäre Erkenntnisse aus einer Vielzahl von Studien und Modellprojekten der intersektoralen Zusammenarbeit in der Akut- und Notfallversorgung, die das Zi mit Expertinnen und Experten aus der ambulanten wie stationären medizinischen Versorgung diskutiert.
„Zu viele Menschen wenden sich mit Behandlungsanliegen, die aus medizinischer Sicht keine Notfälle sind, an den Rettungsdienst oder die Notaufnahme einer Klinik. Diese Strukturen der Notfallversorgung sind nicht nur besonders teuer. Die Kapazitäten können wegen des immer schärfer zu Tage tretenden Fachkräftemangels auch nicht beliebig ausgedehnt werden. Damit besteht die Herausforderung, genau jene Behandlungsanliegen zu erkennen, die zur Entlastung der Notfallversorgung andernorts angemessen versorgt werden können. Seit einigen Jahren wird deshalb sehr intensiv daran gearbeitet, die vertragsärztliche Regelversorgung in den Praxen und den ärztlichen Bereitschaftsdienst mit den Notaufnahmen der Kliniken und dem Rettungsdienst besser zu vernetzen. Ziel ist es, Hilfesuchende zur richtigen Zeit in die jeweils richtige medizinische Versorgungsebene zu steuern“,sagte der Zi-Vorstandsvorsitzende Dr. Dominik von Stillfried. Genau hier setze die aktuelle politische Diskussion um die Reform der Notfallversorgung an: „Der Gesetzgeber will eine direkte Kooperation zwischen 112 und 116117 verankern. Das Ziel ist es, Notfälle schnell innerhalb sowie weniger dringliche Fälle angemessen außerhalb der Notfallversorgung zu behandeln. Dies soll durch eine inhaltliche Abstimmung der standardisierten Notrufabfragen und durch die gegenseitige digitale Fallübergabe erreicht werden. Kurzum: Mit Blick auf das vorgesehene verbindliche Primärarztsystem brauchen wir eine Patientensteuerung aus einem Guss. Wir brauchen ein Steuerungssystem, das an den Versorgungsschnittstellen nicht abbricht, sondern diese im Sinne einer effizienten Patient Journey überwindet.“
Armin Beck, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, machte deutlich, dass etwaige politische Wunschvorstellungen einer Leistungsausweitung für alle Patientinnen und Patienten 24/7 unmittelbar an der Realität des sich weiter verschärfenden Fachkräftemangels scheitern werden. Ohne eine wirksame Patientensteuerung bleibe es bei überfüllten Notaufnahmen und ärztlichen Bereitschaftspraxen sowie bei überlastetem medizinischem Fachpersonal. In Hessen konzentriere man sich daher insbesondere darauf, gemeinsame Tresen über die derzeit bestehenden Standorte in Frankfurt-Höchst, Darmstadt und Offenbach hinaus auszurollen. Rechtssicher über SmED (Strukturierte medizinische Ersteinschätzung in Deutschland) eingeschätzt, könnten die Kapazitäten der Zentralen Notaufnahmen effizienter eingesetzt werden. Durch den flächendeckenden Ausbau der Kinder-Videosprechstunde sei der kinderärztliche Bereitschaftsdienst (PBD) bereits deutlich entlastet und damit personelle Ressourcen geschont worden. Der Roll-Out in die Regelversorgung sei für den 1. Oktober 2025 geplant, so Beck weiter. Die Videosprechstunde im Ärztlichen Bereitschaftsdienst (ÄBD) werde folgen. Ein weiterer wichtiger Baustein zur effizienten Steuerung in der Akut- und Notfallversorgung in Hessen sei das Projekt SaN (Sektorenübergreifende ambulante Notfallversorgung). Mit diesem Modellprojekt werden ambulant behandelbare Notfallpatientinnen und -patienten in vertragsärztlichen Praxen und im ÄBD medizinisch versorgtund somit die Zentralen Notaufnahmen entlastet.
Dr. Christian Pfeiffer, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB), skizzierte die weiteren Planungsschritte für die KVB-Initiative „indikationsgerechte Steuerung in der Akut- und Notfallversorgung (in.SAN). Zunächst sei geplant, weitere Pilotregionen einzurichten, mit dem Ziel, den gemeinsamen Tresen zur Steuerung der Patientinnen und Patienten in die richtige Versorgungsebene flächendeckend in Bayern einzurichten. Zudem müsse die Ersteinschätzungssoftware SmED im bayerischen Rettungsdienst zentral eingebunden und die Bereitschaftsdienstpraxen bayernweit mit den rettungsdienstlichen Versorgungsstrukturen verschränkt werden. Zentral wichtig sei es zudem, den eTerminservice mit Zuweisungsmöglichkeiten für den Rettungsdienst zur bedarfsgerechten Steuerung von Patientinnen und Patienten in der Akutversorgung auch während der Sprechstundenzeiten zu vernetzen. In der Pilotregion Rosenheim habe man sehr positive Erfahrungen mit der Lenkung von Rettungsdienstpatientinnen und -patienten mit ambulanter Prognose in die 55 teilnehmenden Kooperationspraxen gemacht. Mit dem Angebot der digitalen Selbsteinschätzung über Self-Service-Terminals in Krankenhäusern und dem Einsatz von SmED am Kliniktresen seien die Notaufnahme- und Personalkapazitäten spürbar entlastet worden, so Pfeiffer abschließend.
Auch am St. Joseph-Stift in Bremen sind mit den dort seit November 2024 eingerichteten SmED-Patiententerminals zur digitalen Selbsteinschätzung ermutigende Erfahrungen gemacht worden. Insbesondere die gute Annahme durch digital-affine Patientinnen und Patienten jüngerer und mittlerer Altersgruppen habe dazu beigetragen, dass rund 25 Prozent der professionellen Assessments durch medizinische Fachkräfte eingespart und der gemeinsamen Tresen dadurch signifikant entlastet werden konnte.
Weitere Informationen zu SmED finden Sie hier.
Das Programm sowie Vortragsfolien der UCON 2025 sind hier hinterlegt.
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