Februar 2023
Lieferengpässe sind ein schon länger bekanntes Phänomen der Arzneimittelversorgung in Deutschland. Neu ist hingegen der Umfang der schwer zu liefernden Wirkstoffe sowie die Anzahl der betroffenen Patient:innen. Übersicht über die Arzneimittelversorgung geben die Abrechnungsdaten der Apotheken. Damit sind Lieferengpässe bei verordnungspflichtigen Medikamenten jedoch nur schwer zu messen. Der Grund hierfür ist, dass nicht dokumentiert wird, was nicht abgegeben werden konnte.
Ein Indikator für die Nichtverfügbarkeit eines Arzneimittels ist die Sonder-Pharmazentralnummer (PZN) 02567024. Pharmazentralnummern (PZN) sind ein in Deutschland bundeseinheitlicher Identifikationsschlüssel für Arzneimittel, Medizinprodukte und andere apothekenübliche Produkte. Die Sonder-PZN 02567024 wird verwendet, wenn statt des rabattierten bzw. preisgünstigsten Präparats ein wirkstoffgleiches Arzneimittel eines anderen Herstellers abgegeben wurde. Sie kommt zwar nur im Generika- und importrelevanten Markt zum Tragen. Eine Betrachtung ihrer Häufigkeit als Zeitreihe weist aber auf eine aktuelle Verschärfung der Lage hin.
War die Anzahl der abgerechneten Sonder-PZN für nicht verfügbare verordnete Arzneimittel im Jahr 2021 und in den ersten neun Monaten 2022 relativ stabil, steigt sie im vierten Quartal 2022 deutlich an. Bei 10 Prozent der Verordnungen konnten Apotheken nicht auf das eigentlich abzugebende Präparat (z. B. Rabattarzneimittel) zurückgreifen. Dies betraf 26 Prozent der Patient:innen mit einer Verordnung. Davon waren auch häufig verordnete Wirkstoffe betroffen. Rund 75 Prozent aller verordnenden Praxen hatten mindestens einen betroffenen Patienten. Fälle, in denen die Apotheke ein neues Rezept in der Arztpraxis anfordern musste, weil der verordnete Wirkstoff überhaupt nicht verfügbar war, sind hierbei nicht erfasst. Das sind die zentralen Ergebnisse einer aktuellen Auswertung der vertragsärztlichen Arzneiverordnungsdaten für die Jahre 2021 und 2022, die das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) heute veröffentlicht hat.
„Die Gründe für Lieferengpässe sind vielschichtig. Neben nicht ausreichenden Produktionskapazitäten oder dem Rückzug einzelner Hersteller können auch kurzfristige Veränderungen im Krankheitsgeschehen zu Problemen führen. So ist im Dezember 2022 von Versorgungsschwierigkeiten bei Antibiotika mit den Wirkstoffen Amoxicillin, Amoxicillin/Clavulansäure und Penicillin V berichtet worden. Dies war eine besondere Herausforderung, da viele Menschen, insbesondere Kinder und Jugendliche, in diesem Zeitraum an einer bakteriellen Infektion erkrankten. Der Markt konnte jedoch nicht zeitnah genug auf den gesteigerten Bedarf reagieren. Während im vierten Quartal 2021 die drei Wirkstoffe knapp zwei Millionen Mal verordnet wurden, waren es im vierten Quartal 2022 mehr als 3,1 Millionen Verordnungen (+57 Prozent). Insbesondere bei so wichtigen Wirkstoffen wie Antibiotika sollte daher neben stabilen Lieferketten auch eine Reserve vorgehalten werden“, sagte der Zi-Vorstandsvorsitzende Dr. Dominik von Stillfried.
Um Lieferengpässe wirklich zu reduzieren oder gar zu verhindern, müsse die Politik an den tatsächlichen Ursachen ansetzen und mehr Transparenz über Lieferwege schaffen. Diese seien oftmals allein den jeweiligen Pharmafirmen im Detail bekannt, so von Stillfried weiter. „Konkret heißt das: Abhängigkeiten von Lohnherstellern in Asien zurückfahren und verbliebene Standorte in Europa stärken sowie Lieferengpässe konsequenter überwachen, damit frühzeitig präventive Maßnahmen ergriffen werden können.“
Bildunterschrift:
Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi):
Abrechnungshäufigkeit nichtverfügbarer Generika 2021 und 2022
Sonder-Pharmazentralnummer 02567024 (Nichtverfügbarkeit eines Arzneimittels)
Datenbasis:
Arzneiverordnungsdaten für die Jahre 2021 und 2022 (nach § 300 SGB V)