88 Prozent der Patientinnen und Patienten in Notaufnahmen sehen sich selbst als „dringlich“ oder „Notfall“ // 61,8 Prozent der Befragten kannten Servicenummer 116117 // 23,7 Prozent der Teilnehmenden würden digitale Selbsteinschätzung nutzen
Seit Ende der COVID-19-Pandemie ist die Zahl der ambulanten Notfälle in den Notaufnahmen der Kliniken in Deutschland stetig angestiegen. Darunter ist ein hoher Anteil von Patientinnen und Patienten, die selbständig eine Notaufnahme aufsuchen. Weil steigende Patientenzahlen in den Notaufnahmen die Qualität der Versorgung beeinträchtigen können, zielt die anstehende Reform der Akut- und Notfallversorgung auf eine effektive und sichere Steuerung aller Patientinnen und Patienten, die sich mit einem Hilfegesuch an die Notfallversorgung wenden. Weniger dringliche und in Praxen behandelbare Inanspruchnahmen sollen in die vertragsärztliche Versorgung gelenkt werden. Um ein tieferes Verständnis für die subjektiven Vorstellungsgründe von Hilfesuchenden zu gewinnen, hat das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) gemeinsam mit zahlreichen Projektpartnern die derzeit deutschlandweit größte Patientenbefragung in bayerischen Notaufnahmen vorgenommen, deren Ergebnisse aktuell veröffentlicht worden sind.
Demnach schätzen sich 88 Prozent der Befragten selbst als „dringlich“ oder sogar als „Notfall“ ein. Rund 63 Prozent der Befragten hatten sich entweder selbst entschieden, die Notaufnahme aufzusuchen, oder waren von Freunden, Bekannten, Kollegen oder anderen nicht-medizinischen Stellen dazu angehalten worden. Nur etwa ein Fünftel (19,8 Prozent) der Befragten war der Meinung, dass ihr Anliegen auch vertragsärztlich hätte behandelt werden können. Knapp 40 Prozent der befragten Patientinnen und Patienten hatten vor der Konsultation der Notaufnahme versucht, eine haus- oder fachärztliche Praxis zu kontaktieren. Dabei wurden oftmals Terminprobleme bzw. Nichterreichbarkeit als Hürden genannt. Die Kontaktaufnahme war bei Hausärztinnen und Hausärzten in 87,5 Prozent und bei Fachärztinnen und Fachärzten in 73,2 Prozent erfolgreich.
Die Servicenummer 116117 war 61,8 Prozent der Befragten bekannt. Unbekannt war 34,8 Prozent der Studienteilnehmenden, dass der Ärztliche Bereitschaftsdienst über diese Rufnummer zu erreichen ist, und in 76,8 Prozent, dass Termine in Arztpraxen vermittelt werden können. Die telefonische Beratung unter der 116117 kannten 36,7 Prozent der Befragten. Das Wissen um die Rufnummer variierte allerdings signifikant nach Alter, Geschlecht, Bildungsstand, Migrationshintergrund und Online-Informationsverhalten. Rund ein Viertel der Befragten (23,7 Prozent) zeigte sich offen, eine strukturierte digitale Selbsteinschätzung vorzunehmen. Rund 90 Prozent davon hätten ein auf dieser Basis angebotenes Terminangebot in einer Praxis angenommen.
„Die Studienergebnisse legen nahe, dass die wahrgenommene Schwere der gesundheitlichen Beeinträchtigung und gesundheitsbezogenen Ängste eine große Rolle bei der subjektiven Dringlichkeitseinschätzung spielen. Dies unterstreicht einmal mehr die Notwendigkeit einer strukturierten Steuerung beim Zugang zur Notaufnahme. Denn nicht immer entspricht die subjektive Wahrnehmung der Hilfesuchenden der medizinischen Dringlichkeitsbewertung. Ein nicht unerheblicher Anteil der Hilfesuchenden kam auch nach einem vertragsärztlichen Kontakt in die Notaufnahme. Da ist oftmals der Wunsch nach spezialisierter Versorgung ein wesentliches Motiv, sich selbst in einer Notaufnahme vorzustellen“, sagte der Zi-Vorstandsvorsitzende Dr. Dominik von Stillfried.
„Die Studie ist für die geplante Reform der Akut- und Notfallversorgung hoch aktuell. Die telefonischen und digitalen Angebote des Patientenservice der Kassenärztlichen Vereinigungen, also die Rufnummer 116117 und die entsprechende Webseite, können durch Terminvermittlung und Beratung einen wesentlichen Beitrag zur strukturierten Steuerung der Inanspruchnahme leisten, wenn klar ist, dass ein solcher Kontakt vor dem Aufsuchen einer Notaufnahme notwendig ist. Zudem zeigt die Studie, dass bei der Ausgestaltung der im Zuge der Notfallreform geplanten Integrierten Notfallzentren (INZ) sichergestellt werden muss, dass aus Sicht der Versicherten damit keine Überholspur für den Gang in eine Notaufnahme geschaffen wird“, so von Stillfried weiter.
Erfreulich sei das Ergebnis, dass rund ein Viertel der Patientinnen und Patienten in den bayrischen Notaufnahmen auch bereit wäre, die Dringlichkeit des eigenen Anliegens direkt in der Notaufnahme selbst mit Hilfe einer geeigneten Software strukturiert medizinisch einzuschätzen und ein mögliches Terminangebot einer geeigneten Praxis anzunehmen. „Ein solches digitales Verfahren könnte die Aufnahmetresen entlasten und mehr Zeit für die persönliche Betreuung hochdringlicher Notfälle schaffen. Im Erfolgsfall könnten möglicherweise auch jene Personengruppen erreicht werden, die sich in der Befragung noch unentschlossen gezeigt hatten. Deren Anteil lag bei 9,1 Prozent. Deshalb sollten entsprechende Lösungen jetzt zügig erprobt werden. Auch das Zi fördert aktuell solche Studien. Allerdings könnten die Voraussetzungen dafür standortspezifisch unterschiedlich sein,“ ergänzte der Zi-Vorsitzende. In einer vergleichbaren Befragung in Berliner Notaufnahmen war der Anteil derjenigen, die sich offen für eine digitale Selbsteinschätzung zeigten, deutlich höher.
Die Befragung wurde in 18 bayerischen Notaufnahmen durch eine standardisierte, querschnittlich angelegte Fragebogenerhebung vom 3. September bis 29. November 2024 vorgenommen. Im Erhebungszeitraum suchten insgesamt 34.572 Patientinnen und Patienten die beteiligten Notaufnahmen auf. Von diesen wurden 9.744 zur Teilnahme an der Befragung angesprochen. 7.527 Patienten erklärten sich bereit, an der Befragung teilzunehmen. Dies entspricht einer Teilnahmequote von 77,2 Prozent. 956 Personen wurden ausgeschlossen, weitere 297 konnten nicht erreicht werden. Darüber hinaus lehnten 964 Personen eine Teilnahme an der Befragung aktiv ab. Von der Notaufnahmegesamtpopulation konnten demnach 21,8 Prozent im Rahmen der Studie befragt werden.
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