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November 2025

Ineffiziente Doppelstrukturen drohen durch im Notfallreformgesetz geplanten 24/7-Hausbesuchsdienst und Vorortbehandlung im Rettungsdienst // 2024 über 23,5 Millionen Hausbesuche durch Arztpraxen, eine Million im Ärztlichen Bereitschaftsdienst // Förderung der Hausbesuche in der Regelversorgung effizienter als neues Zusatzangebot

Im aktuell veröffentlichten Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform der Notfallversorgung ist vorgesehen, den Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen deutlich zu erweitern. Unter anderem sollen diese verpflichtet werden, rund um die Uhr sowohl eine telemedizinische Versorgung als auch einen aufsuchenden Dienst bereitzustellen, wenn die medizinisch erforderliche sofortige Behandlung nicht anders möglich ist. Nach der Gesetzesbegründung soll hierdurch den Bedürfnissen Pflegebedürftiger und immobiler Patientinnen und Patienten Rechnung getragen sowie vermeidbare Transporte in Krankenhäuser reduziert werden. 

Vor diesem Hintergrund hat das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) die aktuellen Versorgungsdaten aus der Akut- und Notfallversorgung genauer unter die Lupe genommen. Danach sind 2024 insgesamt 23,5 Millionen Hausbesuche abgerechnet worden, 19,4 Millionen davon von Hausärztinnen und Hausärzten. Zusätzlich sind 2,5 Millionen Hausbesuche durch nicht-ärztliche Praxisassistenten (NäPas) und rund 0,6 Millionen durch Medizinische Fachangestellte (MFA) ohne NäPa-Status erbracht worden. Im Fahrdienst des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes (ÄBD)sind 2024 bundesweit hingegen rund eine Million Besuche in den Abrechnungsdaten dokumentiert worden.

„Die Daten zeigen eindrücklich, welch hohen Stellenwert die Hausbesuche in der Regelversorgung haben. Die Behandlung in der Häuslichkeit ist dabei integraler Teil der hausärztlichen und teils auch fachärztlichen Versorgung. Dort ist die Kenntnis des Behandlungsbedarfs und der Lebensumstände der oftmals älteren oder chronisch kranken Patientinnen und Patienten bedeutsam, um vermeidbare Krankenhausaufenthalte wirksam zu reduzieren. Was sich im Gesetzentwurf auf den ersten Blick gut für die Patientinnen und Patienten liest, ist dann kritisch zu bewerten, wenn mit einem solchen Angebot zusätzliche Schnittstellen und Extrakosten entstehen, ohne dass für Hilfesuchende daraus eine bessere Versorgung resultiert. Mit dem Gesetzentwurf wird das aus dem Bereitschaftsdienst bekannte Fahrdienstmodell jetzt auf die Regelversorgung ausgedehnt. Dafür muss während der Praxisöffnungszeiten zusätzliches ärztliches und nichtärztliches Personal vorgehalten werden. Medizinisch nachteilig ist, dass ein solcher Bereitschaftsdienst die zu besuchenden Patientinnen und Patienten in der Regel nicht kennt und daher nur eingeschränkt effizient behandeln kann. Gerade vor dem Hintergrund der Gesetzesbegründung sollte eine Stärkung der Hausbesuche in der Regelversorgung Vorrang vor allem anderen haben, denn dort sind die Patientinnen und Patienten regelhaft in Behandlung und damit bekannt,“ sagte der Zi-Vorstandsvorsitzende Dr. Dominik von Stillfried.

Das Zi sieht ein weiteres Risiko ineffizienter Doppelstrukturen darin, dass der Gesetzentwurf zur Notfallreform zusätzlich zum von den Kassenärztlichen Vereinigungen während der Praxisöffnungszeiten bereitzustellenden Hausbesuchsdienst einen neuen Rechtsanspruch auf notfallmedizinische Versorgung durch Rettungsfachpersonen und Telenotärzte einführen will. „Diese an sich sinnvolle Maßnahme, die bisher zum Beispiel mit dem Gemeindenotfallsanitäter erprobt wurde, kann vermeidbare Transporte ins Krankenhaus reduzieren. Folgt man Expertenschätzungen, erfolgen bisher rund 30 Prozent der etwa sieben Millionen Rettungswageneinsätze pro Jahr ohne höchste Dringlichkeit. Etwa die Hälfte davon, also rund eine Million, könnte für eine Versorgung vor Ort infrage kommen. Dieses Volumen entspricht also in etwa der Anzahl der Besuche im Fahrdienst des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes“, so von Stillfried weiter.

„Allerdings wird damit im Rettungsdienst ein zweiter teleärztlicher Dienst und eine zweite aufsuchende Vor-Ort-Versorgung etabliert, die ebenfalls rund um die Uhr vorzuhalten sind. Dabei stellt das Regelwerk des Gesetzentwurfs leider nicht sicher, dass hierdurch keine Parallelstrukturen zur vertragsärztlichen Regelversorgung bzw. den erweiterten Aufgaben der Kassenärztlichen Vereinigungen in der notdienstlichen Akutversorgung oder in der Regelversorgung geschaffen werden. Ein solches Ergebnis wäre aber weder angesichts des Personalmangels noch aufgrund dramatisch steigender Ausgaben für den Rettungsdienst und der knappen Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung verantwortbar. Solche Parallelstrukturen wären auch medizinisch nicht sinnvoll. Telenotärzte und Gemeindenotfallsanitäter sollten daher nur dann von den Krankenkassen zusätzlich finanziert werden, wenn deren Einsätze zwischen den Leitstellen des Rettungsdienstes und der Kassenärztlichen Vereinigung eng abgestimmt werden können“, bekräftigte der Zi-Vorstandsvorsitzende.

„Derzeit wird ein ärztlicher Hausbesuch in der Regelversorgung mit rund 26 Euro vergütet. Rechnet man die knappen Wegepauschalen dazu, kostet dieser derzeit etwa ein Zehntel des Betrags, mit dem in bisherigen Modellversuchen Einsätze von Gemeindenotfallsanitätern berechnet worden sind. Anhand der Abrechnungsdaten können wir zeigen, dass die Anzahl der Hausbesuche in der Regelversorgung trotz geringer Vergütung die Anzahl von Hausbesuchen im Ärztlichen Bereitschaftsdienstbzw. die der potenziellen Fälle von Gemeindenotfallsanitätern um etwa das 23-fache übertrifft. Einfacher und zielgerichteter als zwei neue Parallelsysteme von aufsuchenden Diensten einzuführen, um während der Praxisöffnungszeiten immobile Patientinnen und Patienten vor unnötigen Krankenhausaufenthalten zu bewahren, wäre eine Stärkung des vertragsärztlichen Hausbesuchs, auch in Delegation an Fachpersonen. Bei seinen weiteren Überlegungen sollte der Gesetzgeber unter Effizienzgesichtspunkten daher von einem Vorrang der Hausbesuche in der Regelversorgung ausgehen“, so von Stillfried abschließend.
 

Bildunterschrift:
Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi):
Anzahl der Hausbesuche von Arztpraxen und ÄBD-Fahrdiensten sowie Rettungsdiensteinsätze bzw. potenzielle Einsätze von Gemeinde-Notfallsanitätern 2024 (im Vergleich)

Datenbasis:
Hausbesuche + ÄBD: Bundesweite vertragsärztliche Abrechnungsdaten 2024
Rettungsdiensteinsätze: Statistisches Bundesamt (Destatis) 2024
Potenzielle Einsätze für GNotSan: Zi-Schätzung


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Daniel Wosnitzka

Leiter Stabsstelle Kommunikation / Pressesprecher