Unter dem Titel „Regelungsvorschlag zur stringenten Umsetzung einer einnahmenorientierten Ausgabenpolitik“ hat der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vor einigen Tagen tiefe Einschnitte in der ambulanten Versorgung gefordert. Bereits heute werden viele Millionen Patientenbehandlungen von den Krankenkassen nicht entsprechend der Gebührenordnung vergütet. Die Forderung des Kassenverbands würde bedeuten, dass der Anteil nicht angemessen vergüteter Leistungen für gesetzlich Versicherte insbesondere in jenen Leistungsbereichen steigt, die heute von einer Mengenbegrenzung ausgenommen sind. Von der Mengenbegrenzung ausgenommen sind bisher Leistungen, die besonders gefördert werden sollen. Zudem fordert der GKV-Spitzenverband auch die Rücknahme der von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragenen und gerade erst parlamentarisch beschlossenen Entbudgetierung haus- und kinderärztlicher Versorgungsleistungen.
„Die harmlos lautenden Forderungen der Krankenkassen bedeuten letztlich Leistungskürzungen für gesetzlich Versicherte“, sagte der Vorstandsvorsitzende des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi), Dr. Dominik von Stillfried. „Wenn die Ausgaben für ärztliche Leistungen in den letzten Jahren stärker als die sogenannte Grundlohnsumme der gesetzlich Versicherten gestiegen sind, dann nicht wegen der Anpassung des Preises für ärztliche Leistungen, sondern wegen der gewünschten Dynamik in der Menge der für die Versicherten erbrachten Leistungen. Besonders deutlich ist das bei Früherkennungsuntersuchungen sowie in der Psychotherapie zu sehen. So beobachten wir seit 2021 bis zu 14 Prozent Zuwachs bei Früherkennungsuntersuchungen bzw. 19 Prozent bei der Kinder- und Jugendpsychotherapie. 2024 sind allein 7,5 Millionen Hautkrebsscreening-Untersuchungen sowie 4,4 Millionen Krebsfrüherkennungen beim Mann vertragsärztlich dokumentiert worden. Das waren 13 bzw. 14 Prozent mehr als noch im Jahr 2021.“
Ähnlich stark stiegen die Behandlungsfallzahlen bei der Früherkennungskoloskopie (640.000, +14 Prozent) und der allgemeinen Gesundheitsuntersuchung (10,1 Millionen, + 5 Prozent). Der Rückgang der pädiatrischen Vorsorgeleistungen ist im Zusammenhang mit einem auch im Vergleich zu anderen Fachrichtungen überproportionalen Anstieg der Gesamtfallzahl von 8,8 Prozent und einem hohen Bedarf an kurativen Leistungen zu sehen. Die rein kurativen Fälle stiegen zwischen 2021 und 2024 um 13 Prozent.
„Diese Leistungsdynamik wäre nicht mehr zu erwarten, wenn die von den Krankenkassen geforderte Budgetierung wieder eingeführt wird. Dann würde auf einen erheblichen Teil der von den Versicherten besonders häufig in Anspruch genommenen Leistungen ein Vergütungsabschlag wirken. Mit anderen Worten, es würde von den Praxen verlangt, die Leistung zu einem nicht kostendeckenden Betrag zu erbringen. Die Folge wären Leistungseinschränkungen für gesetzlich Versicherte – mit absehbar gravierenden Konsequenzen für die heute geförderten Bereiche wie etwa die gesundheitliche Vorsorge, die Psychotherapie und die kurzfristige Terminvergabe an gesetzlich Versicherte in Deutschland“, so von Stillfried weiter.
„Insgesamt hätte die Kassen-Forderung zur Folge, dass die Vertragsärztinnen und -ärzte sowie die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten nicht nur weiterhin die fast 3 Milliarden Euro Verlust hinnehmen müssten (-8,6 Prozent), die ihnen schon heute durch die mengenbegrenzenden Regelungen der sogenannten morbiditätsbedingten Gesamtvergütung jährlich vorenthalten werden. Darüber hinaus bringt der Kassenvorschlag neue Mengenbegrenzungen für derzeit noch voll bezahlte Leistungen mit sich. Als Folge würden die Praxen nach aktueller Datenlage noch weitere 2 Milliarden Euro verlieren“, bekräftigte der Zi-Vorstandsvorsitzende. Allein für die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten gehe damit ein erwarteter Verlust von 700 Millionen Euro einher. Besonders bitter werde es nach Zi-Berechnungen auch für die Fachgruppen Orthopädie, Innere Medizin, Gynäkologie, Augen- und HNO-Heilkunde. Diese gehörten schon bei der Abschaffung der Neupatientenregelung zu den größten Verlierern. Allein auf diese Fachgruppen käme durch die Einbudgetierung von Leistungen aus der extrabudgetären Gesamtvergütung ein Honorarverlust von 800 Millionen Euro zu. Dieser erneute Aderlass werde nach Einschätzung des Zentralinstituts nicht ohne weiteres kompensiert werden können, sondern voll auf die Patientenversorgung durchschlagen.
Bildunterschrift:
Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi):
Veränderung der Behandlungsfallzahlen präventiver Leistungen in der vertragsärztlichen Versorgung in Deutschland (2021-2024)
Datenbasis:
Bundesweite vertragsärztliche Abrechnungsdaten 2021–2024 (Quelle: Zi-Trendreport 2024)
Die Meldung und die Grafik zum Download.