Ableitungen aus Innovationsfondsprojekt ElektRA können Verordnungspraxis von Antibiotika optimieren // Rückgang der Verordnungsrate um bis zu 15 Prozent nach ElektRA-Beratung // Online-Fortbildung wird Ärztinnen und Ärzten ab August 2025 angeboten
Die medikamentöse Therapie mit Antibiotika ist bei schweren bakteriellen Infektionen unverzichtbar. Ihre Wirksamkeit ist jedoch durch die Ausbreitung von Resistenzen gefährdet. Nicht indizierte Antibiotikatherapien können das Risiko der Entwicklung resistenter Erreger erhöhen, ohne dabei einen belegbaren therapeutischen Nutzen zu erzielen. Der Großteil der Vertragsärztinnen und -ärzte in Deutschland setzt Antibiotika zurückhaltend und nach entsprechender Risikoabwägung ein. Ein geringer Anteil unter ihnen verordnet jedoch überproportional häufig Antibiotika oder greift vorrangig zu Wirkstoffgruppen (Fluorchinolone, Cephalosporine), die zurückhaltender eingesetzt werden sollten. Eine auffällige Verordnungssituation kann durch medizinisch relevante Gründe (demographische Faktoren, hohe Anzahl multimorbider oder in Pflegeheimen betreuter Patientinnen und Patienten) entstehen. Ein erhöhtes Verordnungsverhalten kann aber auch auf situative Rahmenbedingungen (empfundener Verordnungsdruck von Seiten der Patientinnen und Patienten sowie Sorge vor abwendbaren, schweren Verläufen), berufliche Erfahrung oder überholtes Fachwissen (Anwendung von nicht-adäquaten Behandlungsalgorithmen) zurückzuführen sein.
Vor diesem Hintergrund sind im Studienprojekt ElektRA (Elektive Förderung Rationaler Antibiotikatherapie) Ansprache- und Interventionsformen erprobt worden, die den Einsatz von Antibiotika im hausärztlichen Setting optimieren sollen. Ziel des Projekts war es, Ärztinnen und Ärzte in der hausärztlichen Versorgung mit einem quantitativ und/oder qualitativ auffälligen Verordnungsverhalten zu identifizieren und zufällig verschiedenen Interventionsgruppen zuzuteilen. Im Rahmen seines Livestreaming-Formats „Zi insights“ hat das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) die zentralen Handlungsfelder und Ableitungen von ElektRA gestern Nachmittag öffentlich vorgestellt und mit Expertinnen und Experten aus vertragsärztlicher Praxis und stationärer Versorgung diskutiert.
Je nach Gruppe sind den Ärztinnen und Ärzten Informationen zum Verordnungsverhalten und/oder Fortbildungsmöglichkeiten angeboten worden: Neben grafisch aufbereitetem Feedback wurden auch eine projekteigene Online-Fortbildung sowie von Peers moderierte Fortbildungen zu rationalen Verordnungspraxis- und Kommunikationsstrategien eingesetzt. Im Ergebnis wurde dann das Verordnungsverhalten vor und nach der Intervention ermittelt und sowohl innerhalb als auch zwischen den Gruppen verglichen. In Gruppe A (Social-Norm-Feedback) betrug die relative Veränderung der Verordnungsrate 3,8 Prozent, d. h. es wurden 3,8 Prozent weniger Antibiotikaverordnungen im Vergleich zur Kontrollgruppe ausgestellt. Hochgerechnet auf das bundesweite Verordnungsgeschehen in hausärztlichen Praxen würde eine solche Reduktion der Verordnungsrate in absoluten Zahlen einer Einsparung bis zu 430.000 Antibiotikaverordnungen entsprechen. Für Teilnehmende des E-Learnings (Gruppe B) wurde eine relative Abnahme der Verordnungsrate von ca. 13 Prozent im Vergleich zur Kontrollgruppe beobachtet. Praxen, die am Peer-moderierten Gesprächszirkel teilgenommen hatten (Gruppe C), stellten im Vergleich zur Kontrollgruppe 14 bis 15 Prozent weniger Antibiotikaverordnungen aus. Die im Rahmen des Projekts in Zusammenarbeit mit dem Zi entwickelte Online-Fortbildung wird ab August 2025 allen Ärztinnen und Ärzten aus den zwölf teilnehmenden Kassenärztlichen Vereinigungen zur Verfügung gestellt.
Dr. Bettina Schultz, Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein, hob hervor, dass sowohl der medizinisch-pharmakologische Versorgungsalltag als auch das Mindset von Ärztinnen und Ärzten auf der einen sowie von Patientinnen und Patienten auf der anderen Seite einen dynamischen Wandel durchlaufe. Während es früher deutlich mehr Indikationen für Antibiotikaverordnungen gegeben habe und Patientinnen und Patienten häufiger auf entsprechende Verordnungen gedrungen hätten, so treffe jetzt eine Medizin mit Augenmaß auf rationale Menschen in den Behandlungszimmern der Arztpraxen. Schultz bekräftigte, „Beinfreiheit“ in der ambulanten medizinischen Versorgung müsse auch bedeuten, dass im Zweifel vor der Antibiotikaverordnung ein CRP-Schnelltest als Regelleistung extrabudgetär angemessen vergütet werden sollte. Auch dies könne zur weiteren Absenkung der Verordnungsraten beitragen und etwaige Sorgen der Patientinnen und Patienten auch ohne Antibiotikaverordnung zerstreuen.
Dr. Karsten Braun, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, machte deutlich, dass E-Learning von vielen Ärztinnen und Ärzten als die zeitgemäße, weil niedrigschwelligste Form der Fortbildung betrachtet werde. Hier könne ElektRA mit seiner projekteigenen Online-Fortbildung als modular aufgebautes und pharmaunabhängiges E-Learning-Tool seine Stärken voll ausspielen. Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg werde das Elektra-Fortbildungsmodul erwerben und unter den Mitgliedern intensiv bewerben. Auch an weiter differenzierten, qualitativen Berichten zum Verordnungsverhalten wie bei den Kinder- und Jugendärzten werde im Südwesten gearbeitet. Die Hausärztinnen und Hausärzte werden nun zügig nachgezogen, weitere Fachgruppen sollen folgen. Das Matching zwischen Diagnose und Verordnung fehle noch, aber auch hier arbeite man intensiv an Lösungen. Braun betonte, dass ein übersichtliches, leicht zu erfassendes, grafisches Feedback zum eigenen Verordnungsverhalten im Vergleich zu einer relevanten Gruppe zu einer kritischen Reflexion des eigenen Verordnungsverhaltens anrege und schließlich zu einer Verhaltensänderung führen könne.
Das vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) für 48 Monate geförderte Forschungsprojekt ElektRA ist ein gemeinsames Projekt von neun Kassenärztlichen Vereinigungen (Bayerns, Baden-Württemberg, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein, Saarland, Schleswig-Holstein, Westfalen-Lippe), dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) und dem Verband der Ersatzkassen (vdek). Die Universitätsmedizin Rostock (UMR) hat das Projekt mit einer unabhängigen Prozessevaluation begleitet.
Mit dem virtuellen Kommunikationsformat Zi insights stellt das Zi alle 2-3 Monate kurz und knapp neue Studien- und Projektergebnisse vor, um diese mit Expertinnen und Experten sowie digital zugeschalteten Gästen zu diskutieren.
Den Programmflyer der gestrigen Ausgabe „Rational verordnen, Resistenzen verhindern – Impulse aus dem Projekt ElektRA zur Antibiotikatherapie“ finden Sie hier.
Der Mitschnitt des Livestreams sowie die präsentierten Folien stehen Ihnen hier zur Verfügung.
Die Medieninformation zum Download.