Vermeidbare Notfälle kosten das Gesundheitssystem Milliarden Euro

Vermeidbare stationäre Notaufnahmen in Krankenhäusern kosten das Gesundheitssystem jährlich Milliarden Euro. Auch während der regulären Praxisöffnungszeiten suchen häufig Menschen auf Eigeninitiative und ohne ärztliche Einweisung die Krankenhäuser auf. Wie das IGES Institut im Auftrag des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) berechnet hat, summieren sich die Kosten für die Aufnahme und die stationäre Behandlung dieser Menschen, denen ein niedergelassener Arzt gut hätte helfen können, auf knapp 4,8 Milliarden Euro jährlich.

Die Wissenschaftler untersuchten speziell die Krankenhausfälle, die durch eine effektive und rechtzeitige ambulante Versorgung prinzipiell hätten verhindert werden können; insgesamt haben sie 3,453 Millionen solcher Fälle ermittelt. Darunter sind 1,768 Millionen Fälle mit Aufnahmeanlass Notfall, denen in der Regel keine Einweisung zugrunde liegt.

Erhebliche Unterschiede zwischen Stadt und Land
„Mehr als die Hälfte aller vermeidbaren Krankenhausfälle werden ohne ärztliche Einweisung aufgenommen. Betrachtet man das Geschehen an Werktagen, entsteht  rund die Hälfte der Aufnahmen ohne ärztliche Einweisung zu den üblichen Praxisöffnungszeiten“, sagt der Geschäftsführer des IGES Instituts, Dr. Martin Albrecht. Den deutlichsten Zustrom erhalten Krankenhäuser laut Statistik montags und dienstags tagsüber. Überhaupt liegt an Werktagen die  Zahl vermeidbarer Aufnahmen ohne Einweisung zu Praxisöffnungszeiten etwa genauso hoch wie außerhalb der Sprechzeiten. 
Zugleich verweist Dr. Albrecht auf die großen regionalen Unterschiede, die die Studie offenlegt. „Die Zahl grundsätzlich vermeidbarer Krankenhausaufnahmen während der Praxisöffnungszeiten ist im Ruhrgebiet und in ländlichen Regionen pro Kopf der Bevölkerung größer als in Großstadtzentren“, erläutert der IGES-Geschäftsführer. „Dabei ist der Notfallanteil, das heißt der Anteil der Aufnahmen ohne ärztliche Einweisung, ausgerechnet in Großstadtzentren an Werktagen während der Praxisöffnungszeiten am höchsten. Dies kann jedenfalls nicht durch ein fehlendes Versorgungsangebot vertragsärztlicher Praxen erklärt werden.“ sagt Dr. Albrecht.

Zi-Vorstand fordert Neuausrichtung der Notfallversorgung
Der Vorstandsvorsitzende des Zi, Dr. Andreas Gassen, fordert vor dem Hintergrund der milliardenschweren Fehlsteuerung, die Notfallversorgung neu auszurichten. „Das Geld könnte wesentlich besser investiert werden, um die moderne ambulante Medizin für ein alterndes Deutschland besser bezahlbar zu machen“, sagt Dr. Gassen. „Durch die Notaufnahmen der Krankenhäuser wird der gesetzlich verankerte Grundsatz ambulant vor stationär konterkariert. Es muss eine strukturelle Lösung gefunden werden, in der das ambulante Potenzial in der stationären Versorgung wirksam und effizient erschlossen werden kann.“ Dr. Gassen plädiert dafür, die Kapazitätsplanung für Vertragsärzte und für Krankenhäuser zusammenzuführen und gemeinsam am Grundsatz ambulant vor stationär auszurichten. Eine Lösung könnten ambulante Anlaufstellen an wichtigen Krankenhausstandorten sein. Um solche Schlüsselstandorte zu ermitteln, müssten regionale Experten mit entscheiden – vor allem die Kassenärztlichen Vereinigungen. „Die Problemlösung muss jeweils auf die regionalen Gegebenheiten zugeschnitten sein“, sagt Dr Gassen. „In Ballungsräumen wird dies anders aussehen müssen als in ländlichen Regionen.“   

Die Studie: Ambulantes Potenzial in der stationären Notfallversorgung
Das breit angelegte Gutachten analysiert das ambulante Potenzial in der stationären Versorgung in Deutschland. In einer ersten Phase haben die IGES-Wissenschaftler zwei Millionen vermeidbarer Krankenhausfälle ermittelt, nach Gründen geforscht und regionale Unterschiede analysiert. In städtischen Gebieten mit einer hohen Dichte niedergelassener Ärzte war der Anteil solcher vermeidbaren Fälle demnach tendenziell niedriger als in ländlichen Gebieten.

Für die zweite Phase der Auswertung hat das IGES Institut die Fallgruppen um acht auf 21 Krankheiten ergänzt, darunter Rückenschmerzen und Schlafstörungen. Sie fußen auf einer Forschungsarbeit der Münchner Gesundheitsökonomin Prof. Dr. Leonie Sundmacher, die vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) gefördert wurde. Prof. Dr. Sundmacher hat erstmals für Deutschland eine Liste mit Diagnosen erstellt, für die bei guter ambulanter Behandlung weitgehend vermeidbar sind. Die Auswertung basiert auf Krankenhausdaten aus dem Jahr 2013.

<link file:1099 _blank pdf>IGES-Gutachten "Ambulantes Potenzial in der stationären Notfallversorgung"

<link file:1100 _blank pdf>Kurzzusammenfassung Zahlenmaterial

<link file:1102 _blank pdf>Statement Dr. Andreas Gassen (Zi)

<link file:1101 _blank pdf>Präsentation Dr. Martin Albrecht (IGES Institut)

<link file:1106 _blank pdf>Präsentation Dr. Dominik von Stillfried (Zi)

<link file:1105 _blank pdf>Präsentation Dr. Monika Schliffke (KV Schleswig-Holstein)

<link file:1104 _blank pdf>Stellungnahme KV Schleswig-Holstein

<link file:1107 _blank pdf>KVB-Impuls Krankenhausreform

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Daniel Wosnitzka

Leiter Stabsstelle Kommunikation / Pressesprecher